Gelähmte gehen wieder – Ein Fortschritt in der Medizin?

Ein kleine Nachricht elektrisierte vor einigen Wochen die Szene: „Gehen trotz Querschnittlähmung. Ein Gelähmter kann mit etwas Hilfe wieder einige Schritte gehen.“ Eine elektrische Rückenmarkstimulation macht es möglich, berichtete ein Forscherteam der Mayo Clinic in Rochester (Minnesota, USA).

Unbeteiligte Mediziner sahen die Studie kritisch. Professor Dr. Weidner zum Beispiel, ärztlicher Direktor der Klinik für Paraplegiologie am Universitätsklinikum Heidelberg, hält den beobachteten Effekt zwar für wissenschaftlich interessant, weist aber darauf hin, dass es sich bei der beschriebenen Studie eher um eine Fallbeschreibung handelt, da nur ein Patient beteiligt war. Ein spezieller Patient, wie Weidner gegenüber der Deutschen Presseagentur dpa weiter ausführt. Seines Erachtens ist es fraglich, inwiefern andere querschnittgelähmte Patienten in gleicher Weise trainiert werden können. Bei einer inkompletten Querschnittslähmung, bei der die Patienten unterhalb der verletzten Stelle am Rückenmark noch Bewegungen ausführen können, sieht Weidner jedoch durchaus ein Potenzial für diesen Ansatz.

Schweizer Forscher gehen einen Schritt weiter

Neuroingenieure des Polytechnikums EPFL, Lausanne, Schweiz, und Neurochirurgen des Universitätsklinikums Lausanne haben jetzt eine Methode entwickelt, mit der das Rückenmark gezielt stimuliert werden kann. Statt der Dauerstimulation, wie im amerikanischen  Fallbeispiel, haben die Schweizer Wissenschaftler gezielt Restverbindungen (wenn auch taube) und noch stimulierbares Gewebe gesucht und angesprochen.

Die Forschungsarbeit
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©EPFL, Jamani Caillet

Probanden waren drei querschnittgelähmte Männer, die seit mehr als vier Jahren einen Rollstuhl benutzen. Ihr Rückenmark war durch Unfälle vollständig durchtrennt worden, die Nervenbahnen zwischen Gehirn und Beinmuskeln unterbrochen. Um die jeweilige Bruchstelle wurden den Probanden Elektroden implantiert, die die Impulse in die Nervenbahnen lenkten. Und zwar nicht in Form einer Dauerstimulation sondern kabellos über einen via Tablet gesteuerten Schrittmacher, der erst dann aktiv wird, wenn der Patient gehen wollte.

Das Ergebnis

Phänomenal. Innerhalb von wenigen Tagen konnten alle drei Männer auf dem Laufband erste Schritte ausführen. Monate später sogar Strecken von bis zu einem Kilometer an

Krücken zurücklegen – nach Abschalten des Schrittmachers! Die Schweizer Forscher konnten damit zum ersten Mal beweisen, dass durch einen ganz gezielten Eingriff das Gehirn Gelähmter wieder mit den Beinmuskeln kooperieren kann und willkürliche Bewegungen möglich macht. https://www.youtube.com/watch?v=5pvutIZ1iTU&feature=youtu.be

Mein Fazit

Atemberaubend, keine Frage! Heilung für jeden? Nein. Dennoch wieder ein Schritt(chen) nach vorne. 1991, als Freddy Mercury, einer der bedeutendsten Rocksänger der 70er/80er, an Aids starb, galt die Immunschwächekrankheit Aids noch als Todesurteil. Heute gibt es gegen den HI-Virus, der die Krankheit auslöst, sehr wirkungsvolle Medikamente, dank der die meisten infizierten Menschen lange mit dem Virus leben können. Ohne zu erkranken. Und auch in der Krebstherapie steigen die Heilungsraten immer weiter an. Immuntherapien, personalisierte Medizin und Hightech-Stifte, die Krebs erkennen, machen hier Hoffnung. Warum also nicht auch im Bereich der Paraplegiologie?


Pressemitteilung der École Polytechnique Fédérale de Lausanne

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Bungee-Jumps für die Hirnforschung

Ob es querschnittgelähmten Menschen eines Tages möglich sein wird, allein mit Hilfe ihrer Willenskraft etwas bewegen zu können, beschäftigt die Hirnforschung schon lange. Bereits 1964 wurde von Wissenschaftlern das sogenannte „Bereitschaftspotential“ unter Laborbedingungen beschrieben. Bislang galt es allerdings als unmöglich, es in Alltagssituation zu messen. Wissenschaftler der Uni Tübingen ist dies nun sogar unter Extrembedingungen gelungen.

Was versteht man denn in der Hirnforschung unter dem Bereitschaftspotential ?

Das Bereitschaftspotential ist eine charakteristische elektrische Spannungsverschiebung im Gehirn, die eine bevorstehende willentliche Handlung anzeigt. Diese Spannungsverschiebung entsteht bereits, bevor sich der Handelnde überhaupt darüber bewusst wird, dass er gleich eine Bewegung ausführen wird. Bisher galten Messungen des Bereitschaftspotenzials nur im Labor als möglich, da die Spannungsverschiebung im Bereich von wenigen Millionstel-Volt liegt, wie es in der Mitteilung heißt.

Was war das Anliegen der Wissenschaftler? 

Vor allen Dingen wollten sie herausfinden, ob das Bereitschaftspotential auch in Alltagsumgebungen messbar ist. Das ist nämlich relevant für die Weiterentwicklung alltagstauglicher Gehirn-Maschine Schnittstellen, denn das wäre eine wichtige Grundlage dafür, dass Querschnittsgelähmte und Schlaganfallpatienten Maschinen mit ihren Hirnsignalen steuern können.

Ferner interessierte die Wissenschaftler, ob die für eine Handlung nötige Willenskraft Einfluss auf die Ausprägung des Bereitschaftspotentials hat.

®Pixabay 30 Mal stürzten sich die Probanden für die Hirnforschung in die Tiefe.

Nicht (nur) zum Vergnügen sondern für die Forschung erklärten sich zwei Klippenspringer bereit, ihre Hirnströme vor Bungee-Sprüngen von der 192-Meter hohen Europabrücke bei Innsbruck aufzeichnen zu lassen.
Für die Messung hat man die Probanden mit drahtlosen EEG-Messgeräten ausgestattet. Die Daten der Hirnaktivität wurden damit vor und während des Sprungs aufgezeichnet.

Das spannende Ergebnis dieses Experiments:
Nach nur wenigen Sprüngen gelang es den Forschern, das Bereitschaftspotential zweifelsfrei nachzuweisen.

Damit ist es Forschern erstmals gelungen, das sogenannte Bereitschaftspotential nicht nur außerhalb des Labors sondern sogar unter Extrembedingungen zu messen.

Die Ergebnisse der Studie werden im Frühjahr 2018 in einem internationalen Fachjournal veröffentlicht. Ein Abstract ist bereits online verfügbar.

Fazit

Im Bereich der Neurotechnologie tut sich enorm viel. Erst kürzlich haben wir hier über ein weiteres Projekt, das ebenfalls an der Uniklinik Tübingen durchgeführt wurde berichtet.
Bleibt nur zu hoffen, dass von der Neurotechnik schon bald Menschen mit Lähmungen profitieren können.

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